Juristische Fakultät Lehrstuhl für Strafrecht Prof. Dr. Volker Krey Richter am Oberlandesgericht (1978-1998) D-54286 Trier Trier, den 22.05.2006 |
– in
der Sache Maik S. –
(Mordfall
Carolin)
I. Zum Sachverhalt
– im Hinblick auf mögliche Versäumnisse im Bereich der Landesjustizverwaltung –
1. Strafrechtliche Karriere vor der Vergewaltigung von D. K.
Hier seien nur hervorgehoben:
– Körperverletzung (07.04.1991)
– Hausfriedensbruch (Januar 1993)
– gemeinschaftlicher Raub (Verurteilung vom 17.09.1996)
– eigenmächtige Abwesenheit von der Truppe in drei Fällen (Verurteilung vom 16.04.1997)
Wegen der letzten Taten (Raub, eigenmächtige Abwesenheit) wurde eine Gesamtstrafe von 11 Monaten Jugendstrafe verhängt.
Im Übrigen erwies sich Maik S. als
Bewährungsversager.
2. Vergewaltigung von D. K. (10.11.1997)
Diese Tat war aus den folgenden Gründen außerordentlich schwer und weit von einer „durchschnittlichen“ Vergewaltigung entfernt:
– Ausnutzung der Hilfsbereitschaft des Opfers
– langandauernde Tatbegehung „über mehrere Stunden hin“
– extreme Brutalität (Schläge mit der Faust ins Gesicht und mit einer Schusswaffe gegen die Stirn; wiederholtes Würgen; anschließend Würgen mit einem Gürtel bis zur Bewusstlosigkeit)
– reiner Zufall, dass wegen des Würgens aus der Tat kein Mord bzw. Vergewaltigung mit Todesfolge wurde
– besondere Grausamkeit der Tat auch dadurch, dass
er das Opfer nach der Vergewaltigung hilflos an einen Baum im Wald gefesselt
(und „geknebelt“) zurückließ und erst eine Stunde später zurückkam
Dieser letzte, „mörderische“ Aspekt ist bei der Bewertung von Tatschwere und Rückfallgefährlichkeit des Maik S. von Anfang an vernachlässigt worden. Dabei erlaubt jenes grausame Verlassen in hilfloser Lage die folgenden Schlüsse, namentlich aus der Sicht des Opfers:
Erstens: Der Täter wollte sich vorbehalten, zurückzukommen, um das Opfer erneut zu missbrauchen und anschließend möglicherweise zu töten.
Zweitens: Der Täter war sich noch unschlüssig, ob er das Opfer beseitigen wollte (tote Zeugen reden nicht).
Drittens: Er wollte das Opfer seinem Schicksal überlassen.
Viertens: Er wollte bald zurückkommen, um das Opfer zu befreien, ohne es erneut zu missbrauchen. Diese letzte Alternative ist sehr fernliegend, auch aus der Sicht des Opfers, das sicher erneut Todesängste ausgestanden hat, als Maik S. den Tatort verließ. Die Selbstbefreiung war lediglich ein glücklicher Zufall.
3. Sachverständigengutachten zur
Gefährlichkeit des Maik S. (vor dem Mord)
a) Gutachten
von Dr. med. Stefan O. vom 03.09.1998
Dieses Gutachten hebt insbesondere hervor:
– Tat einschließlich Gewaltanwendung hätten auch der Ausübung von Macht und Kontrolle über die Frau gedient
– Fehlen ausreichenden Einfühlvermögens in die Leiden des Opfers und von sozial angemessenen Schuldgefühlen
– ungünstige
Legalprognose
– Notwendigkeit
der Einweisung in eine sozialtherapeutische Anstalt im Strafvollzug
b) Gutachten von Dipl.-Psych. Birte F.
(Psychotherapeutin) vom 30.03.2005
Hier ist namentlich zu betonen:
– die grundlegenden dissozialen Verhaltensdispositionen und Persönlichkeitsstrukturen seien im Kern unverändert, was als ungünstig zu beurteilen sei (S. 128 und öfter)
– die äußerlich in gewissem Umfang sehr korrekte Verhaltensweise im Vollzug (insbesondere freundliches Verhalten gegenüber den Vollzugsbediensteten) seien eine „formelle Scheinanpassung“: Maik S. sei im Strafvollzug durch häufiges Lügen und Disziplinlosigkeit sowie arbeitsscheues Verhalten aufgefallen
– sehr
problematisch sei die Haltung des Maik S. zu seiner Tat (Vergewaltigung 1998):
Maik S. sprach bei der Exploration nicht von Opfer und Täter und nannte die
Vergewaltigung „Geschlechtsverkehr“ (Bagatellisierungsaspekt)
Insgesamt sei seine Prognose negativ; eine vorzeitige Entlassung könne aus psychologischer Sicht nicht verantwortet werden, und zwar wegen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit. Allenfalls könne eine sozialtherapeutische Behandlung dieses Risiko reduzieren, aber nur unter den zeitlichen Rahmenbedingungen (zwei Jahre erforderlich, S. 127 a.E., 128, 129, 132).
Beunruhigend
musste selbst dem flüchtigen Leser des F.-Gutachens erscheinen, dass
durchgehend Zweifel an der Therapiebereitschaft/-fähigkeit des Maik S. geäußert
werden (insbesondere S. 107-111, 121, 125 ff). Insoweit verweist die
Sachverständige u.a. auf folgende Aspekte:
– bei
testpsychologischen Untersuchungen zur Aggression sei es zu
Manipulationsversuchen gekommen
– Maik
S. gelinge es raffiniert, sein Gegenüber für sich einzunehmen und dessen
Erwartungen (Einsicht, Besserungsbereitschaft etc.) zu entsprechen; bei
längerem Kontakt sei diese dissoziale Manipulation erfolglos, weil sie dann
durchschaut werde
– die
absolut fehlende Selbstdisziplin, die sich auch in durchgehend arbeitsscheuem
Verhalten zeige, sei keine gute Basis für eine erfolgreiche Therapie
– dasselbe
gelte für seine durchgehende Neigung zum Lügen (ein durchaus bedenkliches
Beispiel sei seine intime Beziehung zu einer 13-jährigen Freundin gewesen, die
er je nach den Umständen eingeräumt oder auch geleugnet habe)
4. Verhalten
von Maik S. im Vollzug; Therapie; Stellungnahmen seitens der jeweiligen JVA zu
seiner Rückfallgefährlichkeit
a) Verhalten im Vollzug
Massive Vorfälle wie erhebliche Straftaten sind nicht registriert. Die angeklagten Verbrechen Raub und Vergewaltigung sind durch Freispruch erledigt.
Dafür sind ständig mehr oder weniger schwerwiegende Disziplinarverstöße festgestellt worden (Beschädigung der Zellenwand, durchgehende Arbeitsverweigerung, Alkoholkonsum, unerlaubter Besitz etc.).
b) Therapie
Seit 01. April 2004 Teilnahme an Sozialtherapie.
Seit Januar 2005 Verlegung zur JVA Waldeck; Beginn des deliktsspezifischen Teils der Therapie; 22.02.2005 Abschluss des ersten Teils (deliktsunspezifischer Teil) der Therapie.
Mitte Februar bis Mitte Juni 2005: Teilnahme am sozialen Trainingskurses.
Fortführung der Therapie nach Haftende abgesprochen.
14.07.2005 (kurz nach Entlassung): An Therapie nicht teilgenommen; am nächsten Tag Mord an Carolin.
Kommentar: Das Landgericht im
Vergewaltigungsurteil und das Gutachten von Dr. O. von 1998 hatten die
Notwendigkeit der Sozialtherapie im Vollzug betont. Dabei sind bekanntlich bei
schweren Taten/gefährlichen Tätern nur Therapien mit einer Mindestzeit von ca.
zwei Jahren sinnvoll (siehe Gutachten Fellert).
Maik S. ist jedoch trotz Haftende am 11. Juli 2005 (konkreter Entlassungstermin: 08.07.2005) erst im April 2004 in die Sozialtherapie gelangt und erst im Januar 2005 nach Waldeck zur intensiveren Sozialtherapie verlegt worden.
02.05.2005: Maik S. verweigert die Teilnahme am sozialen Training (Grund: keine Lust).
c) Stellungnahmen der JVA Bützow
01.08.2002 und 25.07.2003: Die Gefährlichkeit des Maik S. bestehe fort. Die Sexualproblematik sei nicht aufgearbeitet.
17.12.2004: Der Verurteilte befinde sich seit April 2004 in einer Gruppe für veränderungsbereite Sexualstraftäter. Zum 1. Januar 2005 solle er in die Sozialtherapie (Waldeck) verlegt werden. Auch derzeit könne die JVA Bützow einer vorzeitigen Entlassung nicht zustimmen.
Kommentar des Gutachters: Diese noch immer negative Prognose erfolgte
nach immerhin bereits fast 8-monatiger Therapiearbeit!
d) Stellungnahmen der JVA Waldeck
(1) 28.01.2005
(Therapeutische Abteilung)
Überprüfung der nachträglichen Sicherungsverwahrung durch Michael S. (Psychologe) anhand des Formulars des Justizministeriums von August 2004 (Checkliste). Dabei wird das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der nachträglichen Sicherungsverwahrung zu Unrecht und ohne Begründung verneint, wobei auffällt:
– es erfolgte keine Absprache mit dem Anstaltsleiter
– es gab keine Rücksprache mit der StA, sodass diese nicht die Akten erhielt
– Michael S. fühlte sich hinreichend kompetent für die fragliche Beurteilung
– er hielt den Verurteilten für ungefährlich und hält diese seinerzeitige Bewertung aus damaliger Sicht noch heute für richtig
(2) 30.05.2005 (Notwendigkeit der Führungsaufsicht)
Hier wird namentlich betont:
– kognitive Verzerrungen bezüglich der
Sexualstraftat und Mangel an Opferempathie (fehlendes Einfühlungsvermögen)
– weitere Behandlungsnotwendigkeit aus
der Sicht des Therapeutenteams
– ein Abschluss der Therapie bis zum
Haftende ist nicht möglich, weil dieser Abschluss frühestens im Dezember 2005
möglich wäre
– wegen der noch nicht abgeschlossenen Straftataufarbeitung zum Entlassungszeitpunkt Rückfallrisiko
– daher zumindest Führungsaufsicht nötig
5. Verhalten der StA in der Angelegenheit nachträgliche Sicherungsverwahrung (anstelle bloßer Führungsaufsicht)
a) Die zuständige Dezernentin war seit 01.01.2005 für das Vollstreckungsverfahren Maik S. zuständig. Im Juni 2005 erhielt sie mehrere Bände Akten wegen der in Kürze anstehenden Entlassung des Verurteilten. Sie hatte zu entscheiden, ob nachträgliche Sicherungsverwahrung oder Führungsaufsicht zu beantragen seien. Grundlage dafür war das F.-Gutachten (siehe oben), die Stellungnahme der JVA Waldeck von Mai 2005 zur Führungsaufsicht (siehe oben), die Checkliste des Justizministeriums von August 2004 sowie der Beschluss des OLG Rostock vom 18.01.2005 in anderer Sache.
Die Staatsanwältin hat die Voraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB (und des § 275 a StPO) verneint und Führungsaufsicht für ausreichend gehalten. Dabei
– fehlte die Strafgefangenpersonalakte,
– kam es zu keinem Kontakt mit der JVA und zu
– keiner erneuten Begutachtung des Verurteilten.
Im Übrigen ist die nähere Befassung mit der Frage nachträglicher Sicherungsverwahrung viel zu spät erfolgt (Entlassungszeitpunkt: Juli 2005): nach § 275 a Abs. 1 S. 3 StPO soll die StA den Antrag auf nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung spätestens sechs Monate vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe stellen.
Im Grunde genommen war es primär die Führungsaufsicht, die geprüft wurde; die Frage nachträglicher Sicherungsverwahrung ist dagegen offensichtlich nicht gründlich genug in Erwägung gezogen worden.
Hierzu sei mit Nachdruck betont: In den vorgenannten Gutachten und Stellungnahmen ist immer wieder die Notwendigkeit einer längeren Sozialtherapie hervorgehoben worden; allenfalls sie könne die Rückfallgefährlichkeit beseitigen. Es wurde gerade im Gutachten Fellert nachdrücklich betont, die Sozialtherapie sei bei Entlassung noch lange nicht abgeschlossen. Die Führungsaufsicht nun konnte die überwachte Sozialtherapie in einer JVA aber überhaupt nicht ersetzen. All dies hätte bei der StA die Alarmglocken klingen lassen müssen.
6. Stellungnahmen zur Rückfallgefahr
des Maik S. im Mordurteil des LG Rostock sowie im Gutachten von Dr. med. Stefan
O. von September 2005
Diese Stellungnahmen sollen aus Gründen rechtlicher Fairness nicht berücksichtigt werden: Hinterher ist man immer klüger! In meinem Kurzgutachten aber geht es um die Frage von Versäumnissen vor der Entlassung des Maik S.
1. Das LG Stralsund hatte in seinem Urteil von 1998 dringend sozialtherapeutische Hilfen im Strafvollzug angemahnt. Dasselbe hat das O.-Gutachten von 1998 gefordert. Diese Postulate drängten sich auch angesichts der Schwere der Tat und der Persönlichkeit des Täters (Rückfallgefahr) geradezu auf, wobei nochmals hervorgehoben sei: Die brutale Vergewaltigung endete nur rein zufällig nicht als Mord bzw. Vergewaltigung mit Todesfolge.
Die Notwendigkeit einer längeren Sozialtherapie ist auch in der Folge deutlich geblieben (F.-Gutachten; Stellungnahmen der JVA Bützow und der JVA Waldeck).
Dem ist im Strafvollzug jedoch nicht hinreichend entsprochen worden.
Siehe oben, I. 4. b) und d) (2).
These: Objektiv liegt ein Verhalten vor, das
dem gesetzlichen Vollstreckungsziel letztlich nicht gerecht wurde. Die
zuständigen Stellen haben auch immer wieder die unzureichende Therapie vor
Entlassung betont. Die „Vereinbarung“ der Therapiefortsetzung nach
Haftentlassung konnte dieses Defizit nicht kompensieren, was sich aufdrängte.
2. Das Justizministerium hat objektiv nach Einführung der §§ 66 b StGB, 275 a StPO nicht genügend für die Sicherstellung der folgenden Punkte gesorgt:
– Zusammenwirken von JVA und StA mit eindeutiger Klärung, wer die rechtliche Verantwortung trägt (StA)
– Sicherstellung genügender und rechtzeitiger Informationen der StA durch die JVA zur Wahrnehmung der Entscheidungsverantwortlichkeit der StA (Aktenversendung)
– hinreichende Schulung der zuständigen JVA-Bediensteten
These:
Objektiv hat das
Justizministerium nicht hinreichend sichere Vorkehrungen zur raschen,
kompetenten Anwendung der nachträglichen Sicherungsverwahrung getroffen.
3. Speziell im Fall Maik S. ist der JVA bei der Prüfung der Frage nachträglicher Sicherungsverwahrung objektiv als Versäumnis vorzuwerfen:
– fehlerhaftes Ankreuzen im Formular (Checkliste): es fehle an den formellen Voraussetzungen des § 66 b Abs. 2 StGB
– keinerlei Kontaktaufnahme mit der StA oder sonstigen juristischen Sachverständigen
– alleiniges Abstellen auf den eigenen guten Eindruck vom Verurteilten unter grober Vernachlässigung aller anderen Stellungnahmen und Indizien
(z.B. die besondere Schwere und Gefährlichkeit des Maik S. nach dem Urteil v. 1998, Stellungnahmen der JVA Bützow; Kenntnis der unzulänglichen Therapiesituation)
– kein Kontakt zwischen Psychologen (S.) und Anstaltsleiter
These:
Die Beurteilung
nachträglicher Sicherungsverwahrung durch die JVA im Fall Maik S. erfolgte in
verfahrensmäßiger Hinsicht fehlerhaft, im Ergebnis anfechtbar und m.E.
unvertretbar, was die Verneinung der Rückfallgefahr angeht. Dagegen
erhebe ich nicht den Vorwurf, die Verneinung neuer Tatsachen i.S. des § 66 b Abs. 2 StGB sei unvertretbar.
4. Der StA ist objektiv der Vorwurf zu machen, zu spät und
nicht gründlich genug die Frage der nachträglichen Sicherungsverwahrung geprüft
und dabei nicht in erforderlichem Umfang Akten angefordert und/oder Kontakt mit
der JVA aufgenommen zu haben.
Objektiv wirkt der Antrag auf Führungsaufsicht anstelle einer gründlichen Prüfung der Frage der nachträglichen Sicherungsverwahrung gewissermaßen wie ein „fauler Kompromiss“:
Spätestens ein gründliches Aktenstudium und insbesondere die gründliche Durchsicht des Gutachtens F. hätten bei der StA die Alarmanlagen läuten lassen müssen; hier wurde die Rückfallgefahr gerade angesichts der unzureichenden Therapierung überdeutlich.
Darauf, dass die Haftzeit nicht für eine sozialtherapeutische Ausbehandlung reiche, hatte u.a. schon die JVA Bützow am 17.12.04 hingewiesen, und auch hierauf ihre negative Prognose gestützt.
a) Objektiv wird man der StA vorhalten müssen, die erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit verkannt zu haben. Diese Gefährlichkeit hätte sich bei Heranziehung aller einschlägigen Unterlagen und einer gründlichen Prüfung ergeben,
was insbesondere aus den Ausführungen zu I. 3. b), 4. b), c), d) (2),
II. 1., 3., 4. deutlich wird.
b) Dagegen drängte sich der Aspekt neuer Umstände nach einer Verurteilung i.S. des § 66 b Abs. 2 StGB auf den ersten Blick weniger auf. Das Gesetz fordert ja, dass Tatsachen ... nach der Verurteilung ... erkennbar werden. Auf den zweiten Blick kann man dies aber auch anders sehen:
(1) Solche Tatsachen können in erheblichen Straftaten während des Strafvollzugs liegen, weiterhin z.B. in der Verweigerung oder dem Abbruch einer Therapie.
(2) Doch wird man darüber hinaus genügen lassen müssen, dass eine Gesamtwürdigung von Verhalten und Entwicklung des Verurteilten während eines langjährigen Strafvollzugs sowie von Art, Umfang und Ergebnis der Therapiebemühungen spätestens gegen Ende der Haftzeit als neuen Gesamteindruck deutlich macht:
Der
Verurteilte hat die Erwartungen, die man in Strafvollzug und Therapie gesetzt
hat, nicht erfüllt; vielmehr liegt seine weitere Gefährlichkeit auf der Hand.
Für eine solche neue Tatsache i.S. eines Gesamteindrucks, der sich bei nahendem Ende der Haftzeit immer stärker ergibt, sprechen u.a. die folgenden Erwägungen, die dabei selbst neue Tatsachen darstellen:
– die herausgearbeiteten massiven Zweifel an der Therapiewilligkeit und insbesondere Therapiefähigkeit des Verurteilten
– die viel zu kurze Zeit der Therapie, die bei Haftende noch lange nicht abgeschlossen sein würde i.V.m. dem Umstand, dass allenfalls eine langdauernde effektive Therapie die Rückfallgefahr erheblich reduzieren hätte können
c) Daraus folgt: Angesichts der genannten Umstände und der Tatsache, dass die StA es in casu mit einer relativ neuen Vorschrift zu tun hatte, hätte sie die extrem schwerwiegende Entscheidung über die nachträgliche Sicherungsverwahrung besser der Rechtsprechung überlassen sollen, statt auf einen Antrag gemäß § 275 a StPO zu verzichten.
Zumindest aber hätte die StA unter dem Eindruck des Gutachtens F. und aller anderen genannten Aspekte ein Gutachten speziell zu § 66 b Abs. 2 StGB anfordern sollen.
Dann wäre man auf der sicheren Seite gewesen und hätte den Schutz der Allgemeinheit weder vernachlässigt noch überbewertet.
These:
Die StA hätte bei der gebotenen gründlichen Prüfung unter Heranziehung aller
wichtigen Unterlagen (Akten) erstens die erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten
für die Allgemeinheit erkennen können.
Zweitens
bestand objektiv genügender Anlass dafür, die ungeklärte Frage neuer Tatsachen
in casu durch die unabhängige Justiz klären zu lassen, zumindest aber ein
Sachverständigengutachten zu § 66 b Abs. 2 StGB anzufordern.
Die
Verpflichtung des Staates zur Gewährleistung der inneren Sicherheit im
Allgemeinen und zum Schutz der Bürger vor Straftaten im Besonderen erlaubt und
gebietet es, im Zweifel die erforderlichen Anträge zur Klärung der
Notwendigkeit nachträglicher Sicherungsverwahrung zu stellen, anstatt untätig
zu bleiben oder sich mit evident ungenügenden Mitteln wie Führungsaufsicht zu
begnügen. Den berechtigten Interessen des Betroffenen ist durch den effektiven
Rechtsschutz durch die rechtsprechende Gewalt genügt.